Sprechbar

Mundart ist Teil unserer Identität

von Urs Schläpfer

Inhalt: «I haa ‹formagg› und ‹jambung› zum Zvieri ghaa» verkündet strahlend unsere fünfjährige Tochter, wie sie vom Spiel mit den Kindern im Dorf ins Ferienhaus zurückkehrt. Baselbieter Mundart und Dialetto del Val Colla sind in der Kommunikation unter Kindern offenbar kein Problem. Inzwischen sind 20 Jahre vergangen. Heute hätte sie wohl «formaggio e prosciutto» (Käse und Schinken) als Zwischenverpflegung erhalten.

Der Dialetto im Tessiner Seitental wird kaum mehr gesprochen. Die Kinder schämen sich der Mundart und bevorzugen die Hochsprache, das Italienisch, das auch geschrieben wird. Aber auch bei uns vermeiden Kinder – und vor allem Jugendliche – bereits gewisse Mundartausdrücke. Weil sie sich schämen, weil sie fürchten, ausgelacht zu werden. Sie weichen auf Wörter der deutschen Hochsprache und auf englische Ausdrücke aus. Damit wird zwar für eine grössere Anzahl Menschen verständlich, was sie meinen. Dies geht aber auf Kosten einer persönlichen Note, einer emotionalen Nuance, auf Kosten der Genauigkeit, der Präzision, die einem speziellen Mundartausdruck innewohnen kann. Ein Verlust – dieser Schritt hin zur Vereinheitlichung, weg von der kulturellen Vielfalt.

Visitenkarte

Dabei ist der Dialekt der jeweiligen Region eine Visitenkarte, die zur Gegend gehört wie die Seen, Berge, Alpweiden oder Kastanienhaine. Was wäre das Wallis ohne den Dialekt der Einheimischen? Stellen Sie sich einmal vor, die Walliser würden sich der deutschen Hochsprache bedienen, wenn sie sich mit Ihnen unterhalten. Die Schulen des Kantons Basel-Landschaft haben sich an das «Reglement zum Gebrauch der deutschen Standardsprache» zu halten. Schon das Wort «Standardsprache» – wenigstens ist es noch halbwegs deutsch. In den meisten anderen Schulfächern verwenden wir nämlich «Standards», um zu messen, wie gut oder wie schlecht wir im Vergleich mit Finnen, Lappen, Samen oder Kirgisen sind!

«Im Kindergarten findet täglich eine längere Unterrichtssequenz in der Standardsprache statt, in der Primarschule und in der Sekundarschule ist die deutsche Standardsprache Unterrichtssprache.» Bei der Einschulung eines deutschen Kindes wurde ich von dessen Eltern gefragt, ob es denn noch Sinn mache, wenn ihr Kind den hiesigen Dialekt erlerne, dieser sei doch im Bereich Folklore anzusiedeln und über kurz oder lang ohnehin nicht mehr zu halten.

«Die Verwendung der Mundart in bewusst gewählten Ausnahmesituationen liegt in der Kompetenz und der Verantwortung der Lehrperson.» Das Trösten eines Kindes, erste Hilfe und die Bewältigung von Krisensituationen im Unterricht dürfen in Mundart erfolgen. Immerhin. Und die Umsetzung der Weisungen obliegt den Schulleitungen …

Muttersprache

Das Reglement ist am 1. August 2008 in Kraft getreten. Der Gebrauch der deutschen Hochsprache bildet die Voraussetzung, dass den jungen Menschen die Welt des Lesens, des mündlichen und schriftlichen Ausdrucks eröffnet wird. Sie erleichtert die Kommunikation über unsere Grenzen hinweg, bildet den einfacheren Zugang des Erlernens von Fremdsprachen. Auf der anderen Seite ist die Mundart Teil unserer Identität, sie ist unsere «Muttersprache», in der wir Wahrnehmungen und Emotionen ausdrücken können. Sie erlaubt es uns, präzise und genau zu formulieren, was wir meinen, denken, fühlen und empfinden. Es gibt kein Entwederoder. Beides ist notwendig: Hochsprache und Mundart.

Ohne dem Bewahren um jeden Preis das Wort reden zu wollen: Ist es nicht gerade die Vielfalt in der Landschaft, in der Kultur, in der Sprache, die es lohnenswert macht, mit anderen Gruppen, Regionen und Ländern in Kontakt zu treten, um sich auszutauschen, voneinander zu lernen, die Geschichte und Vergangenheit dieser Menschen zu verstehen? «Mer wäi luege», säit der Baaselbieter.

«Mer wäi luege zue öisere Mundart, ass si öis erhalte blybt!»